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Norbert Müller, MdB

Personalnot bei den Jugendämtern - einmal verdoppeln bitte!

Eine Studie der Hochschule Koblenz zeigt die schwerwiegenden Mängel in den deutschen Jugendämtern auf. Handlungsbedarf wurde seit Jahren ignoriert. Wir fordern ein Umsteuern jetzt! Was in der Fachwelt lange bekannt war, belegt die Studienleiterin und Chefin des Jugendamtes Berlin-Mitte, Kathinka Beckmann, nun mit Zahlen. Sie befragte 652 Jugendamtsmitarbeiter*innen deutschlandweit und förderte gravierende Defizite zu Tage.

Die Studie zeigt: Auf die rund 13.000 Mitarbeiter*innen kommen insgesamt gut eine Million „Hilfen zur Erziehung“ (HzE) plus die Inobhutnahmen, Fallfederführungen und Trennungsberatungen. Angesetzt sind rund 35 HzE pro sozialpädagogische Vollzeitkraft. Doch die eigentliche Anzahl liegt meist zwischen 50 und 100, in Ausnahmen sogar bei 135 Fällen pro Sozialarbeiter*in. Das bedeutet weniger Zeit und Unterstützung für die zu betreuenden Kinder und Familien oder das Aufschieben von Dokumentation und einen so erschwerten Austausch mit anderen Institutionen. Über die Hälfte der Befragten verbringt maximal eine Stunde mit einer Familie vor oder während der Hilfeplanung. Gleichzeitig gaben die Befragten an, aus der Notwendigkeit der eigenen rechtlichen Absicherung, zwei Drittel ihrer Zeit für die Dokumentation zu verwenden. Mehr als jeder zweite Fall bleibt trotzdem mindestens einen Monat lang unprotokolliert.

Die Studie sendet die klare Botschaft: Es werden dringend rund 16.000 neue Stellen in den Jugendämtern benötigt. Es fehlt jedoch nicht nur an Personal sondern auch an Ausstattung. Es fehlt an Büros, es fehlt an privaten Orten für Beratungen, an Kopierern oder auch an Diensthandys. Die Finanzierung der Jugendämter ist Aufgabe der Kommunen, doch diese können die finanzielle Last häufig nicht alleine stemmen. Die Folge sind jahrelang unterfinanzierte Ämter und starke regionale Qualitätsunterschiede. Nur 6,5 Prozent der Sozialarbeiter*innen vom Jugendamt können nach eigenen Aussagen „immer bedarfsgerechte Maßnahmen anbieten“.

Das ist für ein wohlhabendes Land wie Deutschland beschämend. Die Situation in den deutschen Jugendämtern ist prekär, die Missstände dort müssen dringend behoben werden, denn es geht um das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. Hier darf sich die Bundespolitik nicht unter Verweis auf kommunale Zuständigkeiten wegducken. Das Kaputtsparen der Jugendämter ist Teil des jahrelangen Sparkurses im Bereich des Sozialen aus der Liebe zur schwarzen Null und auf dem Rücken von Kindern, Familien und ökonomisch Schwachen. Es wird gespart durch das Aushöhlen von Rechtsansprüchen und der chronischen Unterfinanzierung der gesamten Kinder- und Jugendhilfe. Das muss ein für alle Mal ein Ende haben. Die Verfasserinnen der Studie fordern u.a. die Schaffung eines Kinderschutzbeauftragten. Doch ein solcher alleine wird die mannigfaltigen Problem nicht lösen können.

Wir brauchen gut aufgestellte Jugendämter und darüber hinaus einen ausfinanzierten Sozialstaat, der nicht immer mehr Lebenslagen produziert, die eine Unterstützung von außen nötig machen. Eine Verdopplung der Jugendamtsmitarbeiter wäre ein guter Anfang. Aber dafür benötigen wir eine Fachkräfteoffensive und bessere Arbeitsbedingungen. Der aktuelle Koalitionsvertrag mit seinen schwammigen Formulierungen bietet hier wenig Hoffnung auf schnelle Besserung. Vielleicht tragen die erschreckenden Zahlen jedoch auch bei der Bundesregierung zu einem Umdenken bei. Wir werden jedenfalls nicht locker lassen bis die Rechte von Kindern, Jugendlichen und Familien endlich verwirklich sind! 

Norbert Müller ist kinder- und jugendpolitischer Sprecher der LINKEN im Deutschen Bundestag.