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Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

Der Einladung des Stadtverbandes DIE LINKE Ludwigsfelde waren einige Genossinnen und Genossen sowie Sympathisanten gefolgt. Anwesend waren auch der Abgeordnete des Brandenburger Landtages Norbert Müller, die stellvertretende Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Angelika Linke sowie der Vorsitzende der Stadtfraktion DIE LINKE / Filu, Peter Dunkel.
Sie legten am heutigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus sowie dem Internationalen Holocaustgedenktag (seit 2005) Blumen nieder. Norbert Müller sprach die ehrenden Worte.

Dieser Gedenktag wurde auf den 27. Januar gelegt, weil am 27. Januar 1945 Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des KZ Auschwitz-Birkenau, des größten Vernichtungslagers des Nazi-Regimes, befreiten. Opfer waren Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, politisch Andersdenkende sowie Männer und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Kriegsgefangene und Deserteure, Greise und Kinder an der Front, Zwangsarbeiter und an die Millionen Menschen, die entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.

"Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen!" 

Text und Fotos: Angelia Linke


Worte des Gedenkens von Norbert Müller

Gesegnet sei die Phantasie,
verflucht sei sie!
Sie machte mich fast verrückt,
sie provozierte, bedrohte und entzürnte,
sie versetzte mich in Spannung und Furcht.

Aber manchmal
gelang es mir zu entkommen
in eine andere, schöne, bessere Welt.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,

„Manchmal gelang es mir zu entkommen“, schreibt die Shoah–Überlebende Batsheva Dagan – und heute, an diesem 27. Januar 2014, dem Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, ist es an uns innezuhalten und denen zu gedenken, denen es nicht gelang, zu entkommen. Es ist an uns, an die zu erinnern, deren Träume von einer „anderen, schönen, besseren“ Welt nicht mehr wahr wurden. Es ist an uns, unseren großen Respekt gegenüber denen zu erklären, die den Lagern entkamen und das Erlebte wohl nie abstreifen konnten. Und es ist an uns, Fragen zu stellen.

Fragen stellt man denjenigen, die es wissen müssen, die dabei waren, den Zeitzeugen. Als Zeitzeuge, so lehrt mich mein Online-Lexikon, bezeichnet man die Person, die einen historischen Vorgang selbst miterlebt hat.
Drei ZeitzeugInnen möchte ich hier kurz zu Wort kommen lassen, ich habe sie nie getroffen, ihr Zeitzeugnis habe ich aus Büchern.

Der Polizeisekretär Walter Mattner schreibt am 5. Oktober 1941 von seinem Dienst hinter der Front einen Brief an seine Frau (Auszüge): „Bei den ersten Wagen hat mir etwas die Hand gezittert, als ich geschossen habe, aber man gewöhnt sich an das. Beim zehnten Wage ziele ich schon ruhig und schieße sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge. Eingedenk dessen, dass ich auch zwei Säuglinge daheim habe, mit denen es diese Horden genauso, wenn nicht zehnmal ärger machen würden. Der Tod, den wir ihnen gaben, war ein schöner, kurzer Tod, ....Säuglinge flogen in großem Bogen durch die Luft, und wir knallten sie schon im Fliegen ab, bevor sie in die Grube und ins Wasser flogen.“

Ein Hamburger Bürger erklärt nach 1945: „Ich hatte allerhand Alkohol getrunken, war aber nicht sinnlos betrunken. Ich habe noch eine schwache Erinnerung an die Vorgänge ... Als die Synagoge demoliert wurde und Dachpfannen herunter kamen, hat die große ... Menschenmenge Hurra und Heil geschrien. Ich habe mich an diesem Geschrei, soweit ich mich kenne, kräftig beteiligt, zumal ich einen in der Krone hatte. ... Ich will nicht bestreiten, dass ich aus dem Stuhl evtl. ein Stuhlbein herausgebrochen und damit gegen ein Fenster geworfen habe. ... Ich hatte ja einen in der Krone.“

Am 6. Oktober 1944, drei Jahre und einen Tag, nachdem Walter Mattner seiner Frau einen Brief schrieb, schreibt auch in Theresienstadt Egon Redlich, ein aus Prag stammender Jude, in seinem Tagebuch einen Brief, er richtet ihn an seinen Sohn Dan: „Morgen reisen wir mein Sohn. Wir fahren mit einem Transport wie tausende vor uns. Wie üblich haben wir uns für diesen Transport nicht angemeldet. Sie haben uns ohne einen Grund dazu genommen. Aber das hat nichts zu sagen, mein Sohn, es ist nichts. In den letzten Wochen ist schon unsere ganze Familie abgefahren. Dein Onkel ist fort, deine Tante und auch deine geliebte Großmutter... Der Abschied von ihr war besonders schwer. Wir hoffen, sie dort zu sehen. ... Sie schicken kleine Kinder fort, und die Kinderwagen bleiben hier. Getrennte Familien. Mit dem einen Transport fährt ein Vater, mit einem anderen ein Sohn. Mit einem dritten die Mutter. Morgen fahren wir, mein Sohn. ...“

Egon und Dan durften den neu erworbenen Kinderwagen mitnehmen. Die Hoffnung, die Egon damit verband, war jedoch vergebens. Es blieb der letzte Brief an seinen Sohn – Egon und Dan wurden in Auschwitz ermordet, der Kinderwagen ging wahrscheinlich – mit zehntausenden anderen – ins Deutsche Reich.

Drei Zeugnisse, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zeugnisse, die aber zeigen, wie sich Menschen vor über 60 Jahren verhalten haben. Menschen, die zu Opfern gemacht wurden, Menschen, die sich entschieden, Zuschauer zu werden, Menschen, die Täter wurden. Fragen wir uns, wie Menschen zu Tätern, wie zu Zuschauern werden konnten.

DIE LINKE setzt sich ein für eine Erinnerungspolitik, die keine Hierarchisierung von Opfern vornimmt, die aber auch Ungleichsetzbares nicht in einen Topf wirft. Gedenkstätten müssen in den Unterricht in Brandenburg besser eingebunden werden und zwar nicht nur als – wenn überhaupt – eintägiges Ausflugsziel, mit dem der Themenkomplex „Holocaust“ abgehakt werden kann. Jedem Relativierungsversuch der Rolle der überwiegenden Mehrheit der Deutschen während des Dritten Reichs werden wir uns entgegensetzen – das allzu bekannte „Davon haben wir nichts gewusst“ ist ein Märchen.
Und, nicht zuletzt, bekämpfen wir weiterhin rassistische und antisemitische Einstellungen die nach wie vor weit verbreitet sind, wir bekämpfen NPD und DVU, denen wir bei den Kommunalwahlen und darüber hinaus nicht einen Sitz im Parlament, nicht eine Straße in einer brandenburgischen Kleinstadt, nicht einen Kopf überlassen wollen.

„Werde nie zum Täter, werde nie zum Zuschauer!“ sind zwei der Lehren, die man aus den Verbrechen der Nazis ziehen muss. Darüber hinaus, und dafür sind Tage wie der heutige gut, wenn auch nicht ausreichend, gilt es, die Opfer nicht zu vergessen, auch die, deren Namen wir nicht kennen, weil nicht nur sie in den Gaskammern von Auschwitz, Treblinka und Majdanek ermordet wurden, sondern auch ihre Eltern, ihre Partner, ihre Nachbarn, ihre Tanten, ja, ihre Kinder. Wer sie vergisst, vermacht ihren Mördern einen letzten, späten Sieg.

Ich möchte schließen mit den Worten des vermeintlich verrückten Schlomo aus dem Film „Zug des Lebens“, dessen Traum von der geglückten Flucht seines Dorfes vor den Nazis sich nicht erfüllt hat:

Schtetl, Schtetl, Schtetele,
vergiss den Blick der Menschen nicht,
wie verrückt sie warn,
wie wunderbar verrückt.

Liebe Freunde, ich möchte mich Schlomos Bitte anschließen: Vergesst den Blick der Menschen nicht.

Vielen Dank.